Serotonin
von Michel Houellebecq
erwies sich auf Anhieb als erstaunlich wirksam und erlaubte den Patienten, mit einer neuen Leichtigkeit an den entscheidenden Riten eines normalen Lebens innerhalb einer hochentwickelten Gesellschaft teilzuhaben (Körperpflege, ein auf gute Nachbarschaftsverhältnisse beschränktes Sozialleben, simple Behördengänge), ohne dabei im Gegensatz zu Antidepressiva der vorherigen Generation den Hang zu Selbstmord oder Selbstverstümmelung zu verstärken.
Die bei Captorix am häufigsten beobachteten unerwünschten Nebenwirkungen waren Übelkeit, Libidoverlust, Impotenz. Unter Übelkeit habe ich nie gelitten.
was die Holländer anging, das waren wirklich Schlampen, sie setzten sich, wohin sie wollten, sie sind ein Volk polyglotter Kaufmänner und Opportunisten, diese Holländer, man kann es gar nicht oft genug sagen.
Nach und nach verändert sich der Mann durch die ungeheure Lust, die ihm die Frau bereitet, er fasst sie als Anerkennung und Bewunderung auf, sein Weltbild durchläuft eine Veränderung, auf eine für ihn unerwartete Weise gelangt er in die kantsche Dimension der Achtung,
ich es überdachte, war das Beste ihr Arsch, die ständige Verfügbarkeit ihres scheinbar engen, in Wirklichkeit aber so leicht zugänglichen Arsches, man hatte ständig die freie Wahl zwischen ihren drei Löchern, wie viele Frauen können das von sich sagen? Und wie soll man sie zugleich überhaupt als Frauen betrachten, jene Frauen, die das nicht von sich sagen können?
Man wird mir vielleicht vorwerfen, ich würde dem Sex zu viel Bedeutung beimessen; das glaube ich nicht. Auch wenn mir durchaus bewusst ist, dass im normalen Verlauf eines Lebens nach und nach andere Freuden an seine Stelle treten, bleibt der Geschlechtsverkehr doch der einzige Moment, in dem man seine Organe auf eine persönliche und direkte Weise einsetzt, daher bleibt der Weg über den Sex, und zwar über heftigen Sex, für die amouröse Verschmelzung unabdinglich, ohne ihn kann nichts zustande kommen, und alles Weitere ergibt sich für gewöhnlich wie von selbst daraus.
ich hatte in Bezug auf meinen Schwanz gar keine besonderen Ambitionen, es genügte, dass man ihn mochte, ich selbst mochte ihn auch, das war mein Standpunkt hinsichtlich meines Schwanzes.
eine Frau an meiner Seite zu haben, sondern eher eine Spinne, eine Spinne, die sich von meinem Lebenssaft ernährte und dabei nach außen hin eine Frau blieb, sie hatte Brüste, sie hatte einen Arsch (den zu rühmen ich schon Gelegenheit hatte) und sogar eine Möse (der gegenüber ich gewisse Vorbehalte geäußert habe),
Die orientalische Abteilung war zwar weniger luxuriös als die des G20 am Totem-Hochhaus, wo ich bis vor wenigen Tagen Stammkunde gewesen war, hatte aber trotzdem acht verschiedene Hummus-Varianten im Sortiment, darunter Abu Gosh Premium, Misadot, Zatar und den äußerst selten zu findenden Msabbaha;
war noch lange nicht zu Ende. Selten machte ich auch am Café La Manufacture halt, das dem Carrefour City direkt gegenüberlag; einige der Craft-Biere, die es dort gab, wirkten verlockend, aber ich hielt nicht viel von diesem mühsam nachgeahmten Ambiente des »Arbeiterkaffees« in einem Viertel, aus dem die letzten Arbeiter wahrscheinlich um 1920 herum verschwunden waren. Schon bald sollte ich weit Schlimmeres kennenlernen, wenn mich mein Weg in die trostlose Gegend des Butte-aux-Cailles führen würde, doch davon wusste ich noch nichts.
Es ist schlecht, wenn Liebende dieselbe Sprache sprechen, es ist schlecht, wenn sie sich tatsächlich verstehen, sich mit Worten austauschen können, denn die Sprache ist nicht dazu bestimmt, Liebe zu stiften, sondern Zwietracht und Hass zu säen, die Sprache spaltet in jenem Maß, in dem sie entsteht, während ein plumpes, halbsprachliches, verliebtes Geplapper, das Reden mit der eigenen Frau oder dem eigenen Mann wie mit einem Hund die Voraussetzungen für eine bedingungslose und dauerhafte Liebe schafft.
wir waren allein im Zug zwischen zwei abstrakten unendlichen Weiten, dem Himmel und dem Meer, ich war noch nie so froh gewesen, am Leben zu sein, und wahrscheinlich hätte mein Leben in diesem Moment enden sollen,
Die letzten Sekunden hatten sich in Frankfurt abgespielt, auf dem Hauptbahnhof, diesmal musste sie wirklich nach Kopenhagen zurück, sie hatte ihre universitären Verpflichtungen ein wenig hochgespielt, aber nach Paris konnte sie mich auf gar keinen Fall begleiten, ich sehe noch vor mir, wie ich in der Zugtür stehe und sie auf dem Bahnsteig, wir hatten die ganze Nacht lang gevögelt, bis elf Uhr morgens, bis wir wirklich zum Bahnhof mussten, sie hatte mich gevögelt und geblasen, bis sie am Ende ihrer Kräfte war, und sie verfügte über große Kräfte, und auch ich wurde damals problemlos wieder steif, aber darauf kommt es nicht an, das ist nicht das Wesentliche;
Paradoxerweise hätte sie in der Pornoindustrie vielleicht die besten Chancen gehabt: Ohne natürlich die lateinamerikanischen und schwarzen Sexbomben unterschätzen zu wollen, war dieser Sektor darum bemüht, unter seinen Schauspielerinnen eine große Vielfalt an körperlichen Gestalten und Ethnien zu wahren.
Es wäre ohnehin nicht von langer Dauer gewesen, die Pornoindustrie durchlebte ihre letzten Monate, bevor sie von den Amateurpornos im Internet zerstört werden würde, YouPorn würde die Pornoindustrie noch schneller dem Erdboden gleichmachen als YouTube die Musikindustrie, der Porno war stets die Speerspitze der technologischen Innovation gewesen, wie schon zahlreiche Essayisten angemerkt haben, ohne dass irgendeinem von ihnen aufgefallen wäre, dass diese Feststellung etwas Paradoxes hat, denn schließlich ist die Pornografie noch immer der Bereich menschlicher Aktivität, in dem die wenigsten Innovationen stattfinden, es passiert darin sogar überhaupt nichts Neues,
Das gelte für die Gesamtheit des französischen Käses, doch wir befänden uns in der Normandie, unterstrich er zutreffend, und der task force, die er einzusetzen beabsichtige, solle es vor allem darum gehen, die »drei Fürsten der Normandie« zu promoten: den Camembert, den Pont-l’Évêque und den Livarot.
Er zeigte sich begeistert: Tatsächlich seien es genau solche Dinge, deren Umsetzung man ins Auge gefasst habe, und überhaupt müsse man immer sein Vorstellungsvermögen nutzen; die Synergien, die der Weinbau in der Champagne mit der französischen Luxusindustrie habe schaffen können, würden sich kaum unmittelbar wiederholen lassen: Könnte man sich vorstellen, wie Gisele Bündchen ein Stück Livarot probiere (ein Glas Moët & Chandon dagegen schon, oder)?
Ich breitete schwungvoll die Arme aus, um auszurufen, sie wirke topfit und habe sich kein bisschen verändert, ich weiß nicht, warum ich so ein guter Lügner bin, von meinen Eltern habe ich es jedenfalls nicht, vielleicht waren es die ersten Jahre auf dem Gymnasium, in Wahrheit hatte sie fürchterlich gelitten, allerorten ragte Fett hervor, und ihr Gesicht war förmlich überwuchert von blauroten Adern, außerdem sah sie mich sofort etwas zweifelnd an, zuerst dachte sie wohl, ich wolle sie verarschen, aber das hielt nicht länger als zehn Sekunden an, sie senkte rasch den Kopf, um ihn gleich wieder zu heben, und ihre Miene hatte sich verändert, das junge Mädchen kam wieder zum Vorschein, und sie zwinkerte mir geradezu kokett zu.
ES GAB IN DIESER BUDE nur Instantkaffee, was an sich schon ein Skandal war, wenn es in einer Wohnung wie dieser keine Nespresso-Maschine gab, fragte man sich, wo es sonst eine geben sollte,
In einem YouPorn-Film hätte es nun eine Sequenz vom Schlage »Mom teaches daughter« gegeben, aber die Wirklichkeit war wie so oft weniger erfreulich.
das Studium ist die einzige glückliche Zeit, die einzige Zeit, in der die Zukunft offen erscheint, in der alles möglich erscheint, das Arbeitsleben ist nichts als ein langsames, fortschreitendes Versanden, wahrscheinlich ist das der Grund dafür, dass die Jugendfreundschaften, die sich während dieser Studienjahre anbahnen und die im Grunde die einzig wahren Freundschaften sind, nie den Eintritt ins Erwachsenenalter überleben, man vermeidet, seine Jugendfreunde wiederzusehen, um nicht zum Zeugen ihrer enttäuschten Hoffnungen, ihrer eigenen Vernichtung werden zu müssen.
Ich glaube nicht, dass es falsch ist, den Schlaf mit der Liebe zu vergleichen, ich glaube nicht, dass ich mich irre, wenn ich die Liebe mit einer Art Traum zu zweit vergleiche, in dem es zwar gewisse Augenblicke des individuellen Träumens gibt, kleine Spielchen der Vereinigung und Verschränkung, der aber in jedem Fall einen Weg darstellt, unsere irdische Existenz zu einem erträglichen Moment zu machen – der eigentlich das einzige Mittel dazu ist.
Ich hatte eine echte Zuneigung für ihren Vater empfunden und gespürt, dass er mich seinerseits mochte, hin und wieder hatte er mir ein Fläschchen vorbeigebracht, für die Alten ist der Alkohol eine wichtige Sache, viel mehr bleibt ihnen nicht.
Alle Paare haben ihre kleinen Riten, unbedeutende, sogar ein wenig lächerliche Riten, von denen sie niemandem erzählen. Eines unserer Rituale bestand darin, das Wochenende einzuläuten, indem wir jeden Freitagabend in der Brasserie Mollard direkt gegenüber vom Bahnhof aßen. Es kommt mir vor, als hätte ich jedes Mal Wellhornschnecken mit Mayonnaise und Hummer Thermidor gegessen und als hätte es mir jedes Mal geschmeckt, ich hatte nie den Drang oder auch nur den Wunsch verspürt, den Rest der Karte zu erkunden.
Die Außenwelt war hart, ohne Mitleid mit den Schwachen, sie hielt ihre Versprechen nie, und die Liebe blieb das Einzige, woran man vielleicht noch glauben konnte.
Ich befand mich auf einer meiner Reisen nach Brüssel, als mir der unselige Einfall kam, mit Tam zu schlafen. Der Einfall wäre übrigens so ziemlich jedem gekommen, glaube ich, sie war hinreißend, diese kleine Schwarze, vor allem ihr kleiner Hintern, nun ja, sie hatte einen hübschen kleinen schwarzen Hintern, das sagt ja schon alles,
Sie begann zu weinen. Stundenlang weinte sie leise vor sich hin, die Tränen strömten über ihr Gesicht, ohne dass sie daran gedacht hätte, sie wegzuwischen; es war der schlimmste Moment meines Lebens, darüber gibt es keinen Zweifel.
ich hatte Hummus, angemessen für einsame Freuden, aber die Festtage sind heikler, da hätte es eine Platte mit Meeresfrüchten gebraucht, aber so etwas teilt man, eine Platte mit Meeresfrüchten allein, das ist eine Grenzerfahrung, selbst Françoise Sagan hätte derlei nicht schildern können, das ist wirklich zu krass.
wusste ich. Mein ohnehin sehr geringes Bedürfnis nach sozialen Beziehungen (wenn man darunter andere als Liebesbeziehungen versteht) war im Laufe der Jahre auf null gesunken.
Es gab einen Müllschlucker, der mich wohl endgültig überzeugte; durch Nutzung des Müllschluckers auf der einen und des neuen Lebensmittellieferdienstes von Amazon auf der anderen Seite könnte ich nahezu vollständige Unabhängigkeit erreichen.
Doch im breit gefächerten Angebot von SFR blieben noch einige Perlen, insbesondere im kulinarischen Bereich, ich wurde jetzt ein richtig dicker alter Kerl, ein epikureischer Philosoph, warum nicht, was hatte Epikur denn sonst noch groß im Kopf gehabt? Zugleich waren ein Kanten altbackenes Brot und ein Rinnsal Olivenöl nicht sehr üppig, ich brauchte Hummermedaillons und Jakobsmuscheln an feinem Gemüse, ich war ein Décadent und keine griechische Dorfschwuchtel.
Eine heiße Mieze hätte Thomas Mann so richtig aufgeilen können; Marcel Proust wäre auf Rihanna steil gegangen; diese beiden Schriftsteller, die Glanzlichter ihrer jeweiligen Literaturen, waren, anders ausgedrückt, keine ehrenwerten Männer,
Er aß allein, und offensichtlich aß er bis zum Ende seines Aufenthalts allein; er war zwischen dreißig und vierzig, er schien Spanier zu sein, nicht übel aussehend und wahrscheinlich von einem annehmbaren gesellschaftlichen Niveau, man hätte sich ihn als Bankbediensteten vorstellen können; der Mut, den er jeden Tag aufbringen musste, insbesondere zur Essenszeit, hatte mir die Sprache verschlagen, mich förmlich mit Schrecken erfüllt). Ich würde auch am Wochenende nicht mehr wegfahren, das mit den Boutique-Hotels war für mich vorbei, allein in ein Boutique-Hotel, da konnte man sich auch gleich die Kugel geben,
es war ein wirklich trauriger Moment gewesen, als ich meinen G 350 auf dem finsteren Parkplatz im dritten Kellergeschoss abgestellt hatte, der im Kaufpreis meiner Wohnung inbegriffen war, der Boden war widerlich und glitschig, die Atmosphäre ekelerregend, hier und dort lagen Gemüseabfälle herum: Das war ein trauriges Ende für meinen alten G 350, der Freiheitsentzug in diesem schmutzigen und düsteren Parkhaus, für ihn, der Gebirgsstraßen hinuntergebraust war, der Moore und Furten durchquert hatte, der etwas über 380 000 Kilometer gelaufen war und mich nicht ein einziges Mal im Stich gelassen hatte.
Sind wir Illusionen von individueller Freiheit, von einem offenen Leben, von unbegrenzten Möglichkeiten erlegen? Das mag sein, diese Gedanken entsprachen dem Zeitgeist; wir haben sie nicht formalisiert, danach stand uns nicht der Sinn; wir haben uns damit zufriedengegeben, uns ihnen anzupassen, uns von ihnen zerstören zu lassen und dann sehr lange darunter zu leiden.