hero

Tabu: Stories

von Ferdinand von Schirach

Auf Amazon anschauen (opens new window)

  • Das Leben im Kloster war seit Jahrhunderten auf das Lesen und Schreiben ausgerichtet.

  • Früher, als Sebastians Eltern noch miteinander redeten, hatte er seine Mutter oft zum Vater sagen hören, er habe keinen Ehrgeiz, keine Disziplin, er habe noch nicht einmal einen richtigen Beruf. Man brauche Ziele im Leben, hatte sie gesagt, das sei das Wichtigste.

  • Er wusste nicht mehr, was noch wirklich war, und er wusste nicht, wer er werden sollte.

  • Sebastian verstand, dass die Reiterinnen süchtig nach ihren Pferden waren.

  • In den letzten Jahren hatte es viele Frauen in Eschburgs Leben gegeben. Die Frauen mochten ihn, er hatte es nie besonders schwer.

  • »Du bist tot.« Das Sterben wurde so leichter. Daran dachte er jetzt und nichts fehlte ihm.

  • Plötzlich sprang der Moderator auf, er riss die Arme hoch und schrie etwas ins Publikum. Die Zuschauer lachten. Eschburgs Galerist hatte gesagt, der Moderator habe einen Fernsehpreis für seine »menschliche und mitreißende« Talkshow bekommen.

  • »Wir gewinnen nicht, wir verlieren nicht, wir tun unsere Arbeit.«

  • »Wenn man einen Freispruch von einer Mordanklage will, gibt es sechs Möglichkeiten. Erstens: Es war richtig zu töten – kommt selten vor. Zweitens: Es war Notwehr. Drittens: Es war ein Unfall. Viertens: Sie wussten nicht, was Sie taten, oder Sie konnten das Unrecht Ihres Handelns nicht einsehen. Fünftens: Sie waren es nicht, ein anderer hat’s getan. Und – ebenfalls sehr selten – sechstens: Es gibt gar keinen Mord.

  • Ich habe irgendwann begriffen, dass der Mensch nur sich selbst gehört. Nicht einem Gott, nicht einer Kirche, nicht einem Staat – nur sich selbst. Das ist seine Freiheit. Sie ist zerbrechlich, diese Freiheit, empfindlich und verwundbar. Nur das Recht kann sie schützen.

  • Wann dürfen Sie foltern? Nur wenn ein zehnjähriges Mädchen entführt wird? Oder dürfen Sie auch foltern, wenn das Opfer ein fünfzigjähriger Obdachloser am Rande der Gesellschaft ist? Wenn der Bundespräsident entführt wird, tun Sie es. Aber wenn ein bekannter Vergewaltiger das Opfer ist, dann lieber doch nicht? Wer bestimmt in Ihrer Welt, wann gefoltert werden darf? Sie selbst? Als eine Art Richter, Staatsanwalt, Verteidiger und Vollstrecker in einer Person?«

  • Biegler sprach leise weiter: »Ja, ein tragischer Held. Sie haben sich gegen unsere Rechtsordnung gestellt, gegen alles, woran ich glaube. Sie haben die Würde eines Menschen verletzt. Diese Würde kann ein Mensch nicht erwerben und er kann sie nicht verlieren. Der Mensch wird durch Ihre Folter zu einem bloßen Objekt gemacht, er dient nur noch dazu, etwas aus ihm herauszubekommen. Deshalb müssten Sie – wenn es nach mir ginge – für das, was Sie getan haben, hart bestraft werden. Ich würde Ihnen die Pension entziehen und Sie aus dem Dienst entlassen. Aber ich würde Sie bewundern, weil Sie Ihre Zukunft für das Leben der jungen Frau geopfert haben. Die Folgen für Sie müssten fürchterlich sein. Helden werden bewundert. Aber sie gehen unter.«

  • Jeden Morgen stehen wir auf, dachte er, wir leben unser Leben, all die Kleinigkeiten, das Arbeiten, die Hoffnung, der Sex. Wir glauben, was wir tun, sei wichtig und wir würden etwas bedeuten. Wir glauben, wir wären sicher, die Liebe wäre sicher und die Gesellschaft und die Orte, an denen wir wohnen. Wir glauben daran, weil es anders nicht geht. Aber manchmal bleiben wir stehen, die Zeit bekommt einen Riss und in diesem Moment begreifen wir es: Wir können nur unser Spiegelbild sehen.