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Unterwerfung

von Michel Houellebecq

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  • Ein Studium im Fachbereich Literaturwissenschaften führt bekanntermaßen zu so ziemlich gar nichts außer – für die begabtesten Studenten – zu einer Hochschulkarriere im Fachbereich Literaturwissenschaften.

  • Diese Liebesbeziehungen liefen nach einem relativ starren Muster ab. Sie begannen am Anfang des Studienjahres während einer Übung, bei einem Austausch von Notizen aus dem Seminar, kurzum, bei einer der zahlreichen Gelegenheiten, sich zu sozialisieren, die sich im Leben eines Studenten häufig ergeben und deren Verschwinden mit dem Eintritt in das Berufsleben einen Großteil der Leute in eine ebenso verblüffende wie radikale Einsamkeit stürzt.

  • Liebesbeziehungen von schwankender Dauer (die Dauer eines Jahres, die ich bei mir beobachtet hatte, galt als akzeptabel) und in schwankender Anzahl (zehn bis zwanzig schienen ein vernünftiger Durchschnitt zu sein) sollten aufeinander folgen, bevor sie zum krönenden Abschluss in die allerletzte Beziehung mündeten, die dieses Mal einen eheähnlichen und endgültigen Charakter haben würde und durch die Zeugung von Kindern zur Gründung einer Familie führen sollte.

  • Sie hatte nicht nur gefühlsmäßig eingesteckt, ihr Körper hatte irreparable Schäden erlitten, der Hintern und die Brüste waren nur mehr dünne, schrumpelige, schlaff herabhängende Hautlappen, sie war am Ende, würde nie wieder ein Objekt der Begierde sein.

  • Mein eigenes Sexualleben erfuhr in den ersten Jahren nach meiner Berufung zum Hochschullehrer der Universität Paris III – Sorbonne keine nennenswerte Entwicklung. Jahr um Jahr schlief ich weiter mit Studentinnen meiner Fakultät, die Tatsache, dass ich ihr Dozent war, änderte daran nichts. Die Altersdifferenz zwischen mir und diesen Studentinnen war anfangs recht klein, erst nach und nach schlich sich eine Dimension des Verbotenen ein, die mehr mit meinem universitären Status zusammenhing als mit meinem wirklichen oder erkennbar fortschreitenden Alter. Ich profitierte letztlich voll und ganz von jener grundlegenden Ungleichheit, die zur Folge hat, dass sich der Alterungsprozess eines Mannes nur langsam auf sein erotisches Potenzial auswirkt, während sich der Verfall der Frau mit verblüffender Härte in wenigen Jahren, manchmal Monaten vollzieht.

  • Männer sprechen von Politik, Literatur, Finanzmärkten oder Sport, wie es eben ihrer Natur entspricht; kein Wort über ihr Liebesleben, und das bis zum letzten Atemzug.

  • Der Gedanke war nicht abwegig; um zu wissen, woran ich war, begann ich meine Abende auf YouPorn zu verbringen, das im Laufe der Jahre als Pornoseite Maßstäbe gesetzt hatte.

  • hinter meinem 27-Zoll-iMac hatte auch ich einen Ständer, alles bestens also.

  • Dubai (oder war es Bahrain oder Katar? Ich konnte sie nie auseinanderhalten)

  • »Da wäre noch das Wahlergebnis der Bruderschaft der Muslime, man weiß es nicht, wenn sie über die symbolische 20-Prozent-Hürde kommen, kann sich das auf das Kräfteverhältnis auswirken …« Das war natürlich Schwachsinn, die Wähler der Bruderschaft der Muslime würden ihre Stimmen zu 99 Prozent den Sozialisten geben, das änderte auf keinen Fall etwas am Ergebnis, aber das Wort »Kräfteverhältnis« hatte in jeder Unterhaltung eine imponierende Wirkung, als hätte ich Clausewitz und Sunzi gelesen,

  • Die Liebe eines Mannes ist nichts anderes als die Anerkennung für das ihm bereitete Vergnügen,

  • sie wackelte unendlich anmutig mit ihrem kleinen Hintern, bevor sie ihn mir entgegenstreckte.

  • Jede Fellatio von ihr hätte genügt, das Leben eines Mannes zu rechtfertigen.

  • »Hast du Lust auf Sushi?« Natürlich hatte sie Lust, auf Sushi haben die Leute immer Lust, die größten Feinschmecker ebenso wie um ihre Linie besorgte Frauen, es herrscht eine Art Universalkonsens hinsichtlich dieses amorphen Nebeneinanders von rohem Fisch und weißem Reis.

  • Ich hätte sie bitten sollen, mir einen zu blasen, genau jetzt, das hätte uns als Paar eine zweite Chance geben können, stattdessen tat ich nichts gegen das Unbehagen, das sich mit jeder Sekunde weiter ausbreitete.

  • Die geistigen Höhepunkte meines Lebens waren die Niederschrift meiner Dissertation und die Veröffentlichung meines Buchs gewesen; all das lag mehr als zehn Jahre zurück. Geistige Höhepunkte? Höhepunkte überhaupt? Jedenfalls fühlte ich damals so etwas wie eine Existenzberechtigung.

  • Auf diese Weise trägt er, durch die enge Verbindung zwischen dem Thema und seiner Umsetzung, einen ästhetischen Sieg davon:

  • Seltsamerweise war der Westen überaus stolz auf dieses Wahlsystem, das doch nicht mehr war als die Aufteilung der Macht zwischen zwei rivalisierenden Gangs, nicht selten kam es sogar zu einem Krieg, um dieses System anderen Ländern aufzuzwingen, die diesbezüglich weniger enthusiastisch waren.

  • Während die reichen Araberinnen tagsüber die undurchdringliche schwarze Burka trugen, verwandelten sie sich abends in schillernde Paradiesvögel: Mieder, transparente BHs, Strings mit bunter Spitze und Schmucksteinen, also genau das Gegenteil der westlichen Frauen, die sich tagsüber sexy und elegant kleideten, weil ihr sozialer Status auf dem Spiel stand, abends aber zusammensanken, in unförmige Freizeitklamotten stiegen und beim Gedanken an Verführungsspielchen nur müde abwinkten.

  • Mein Schwanz war im Grunde das einzige Organ, das sich mir nie durch Schmerzen bemerkbar gemacht hatte, sondern nur durch rauschhaften Genuss.

  • ein Zusammenleben hätte sicher bald zum Verlust unseres sexuellen Begehrens geführt, und wir waren noch zu jung, um das zu überstehen.

  • Manche Sonntage konnte ich glücklicherweise auch einfach durchvögeln – meistens mit Myriam. Mein Leben wäre öde und freudlos gewesen, wenn ich nicht von Zeit zu Zeit mit ihr gevögelt hätte.

  • Schließlich fragte ich mich, was ich eigentlich hier machte. Eine sehr allgemeine Frage, die sich jeder Mensch an jedem Ort in jedem Moment seines Lebens stellen kann.

  • Mein Versuch, mich für die natürlichen Schönheiten der Landschaft zu interessieren, war offenbar zum Scheitern verurteilt; ich probierte es trotzdem hartnäckig weiter, und als der Abend dämmerte, bewegte ich mich in Richtung Martel zurück. Der Cro-Magnon-Mensch jagte Mammuts und Rentiere. Der Mensch von heute hatte die Wahl zwischen einem Auchan und einem Leclerc, die sich beide in Souillac befanden.

  • Marie-Françoise sah ihn wohlwollend an, ganz offensichtlich erleichtert darüber, dass ihr Mann seine Entlassung so gut verkraftet und in seine neue Rolle als Salon-Stratege hineingefunden hatte. Die konnte er auf gewinnbringende Art und Weise vor dem Bürgermeister, dem Arzt, dem Notar, schlichtweg vor allen angesehenen lokalen Persönlichkeiten spielen, die in den großen Provinzstädten immer noch sehr gegenwärtig waren. In ihren Augen wäre er nach wie vor vom Nimbus einer Karriere beim Geheimdienst umgeben. Ihr gemeinsamer Ruhestand stand zweifellos unter besten Vorzeichen.

  • Das Entscheidende aber ist, dass der wahre Feind der Moslems, den sie über alles fürchten und hassen, nicht der Katholizismus ist: Es ist der Säkularismus, der Laizismus und atheistische Materialismus.

  • Es ist ziemlich schwierig, die anderen zu verstehen, zu wissen, was sich tief in ihren Herzen verbirgt, und ohne die Hilfe von Alkohol würde es einem vielleicht niemals gelingen.

  • Das Aufspüren der weiblichen Oberschenkel, das geistige Bild einer Muschi an ihrem Schnittpunkt, dieser Vorgang, bei dem das potenzielle Ausmaß der Erregung in direktem Verhältnis zur Länge der entblößten Beine steht: All das lief bei mir dermaßen unbewusst und mechanisch ab, war geradezu genetisch verankert, dass es mir nicht sofort aufgefallen war.

  • Die Betrachtung von Frauenärschen, dieser kleine träumerische Trost, war ebenfalls unmöglich geworden.

  • Zehntausend Euro monatlich für einen mittelmäßigen Hochschullehrer, der zu keiner Veröffentlichung fähig war, die den Namen verdiente, und dessen Bekanntheitsgrad gleich null war: Sie verfügten tatsächlich über beträchtliche finanzielle Mittel.

  • Erektionsprobleme auf der einen Seite, Scheidentrockenheit auf der anderen; es war besser, das zu vermeiden.

  • druckte einige davon aus, um sie noch einmal zu lesen (mit Escort-Websites verhält es sich ein wenig wie mit Restaurantführern, in denen die bemerkenswert poetische Beschreibung von Gerichten auf der Karte sehr viel größeren Genuss verspricht, als einem am Ende bereitet wird).

  • und man merkte, dass sie nicht recht bei der Sache war. Nur beim Analverkehr wurde sie ein wenig lebhafter; sie hatte einen kleinen, ziemlich engen Arsch,

  • Ein paar Tage später traf ich mich mit Babeth der Schlampe, über die es auf der Website begeisterte Kommentare gab und die sich als »heiß und tabulos« vorstellte. In der Tat empfing sie mich in ihrer hübschen, etwas altmodischen Zweizimmerwohnung nur mit einer Büstenhebe und einem String ouvert bekleidet. Sie hatte lange blonde Haare und ein unschuldiges, fast engelsgleiches Gesicht. Auch sie schätzte Analverkehr, ließ es sich aber nicht nehmen, dies auch zu zeigen.

  • Alles in allem waren diese beiden Escorts in Ordnung, aber trotzdem nicht gut genug, als dass ich Lust darauf gehabt hätte, sie wiederzusehen oder regelmäßigen Kontakt mit ihnen zu pflegen, und auch nicht so gut, dass sie mir Lust aufs Leben gemacht hätten. Sollte ich also sterben? Das schien mir eine zu vorschnelle Schlussfolgerung zu sein.

  • Sylvia saß am Steuer eines Mitsubishi Pajero Instyle, und zu meiner großen Überraschung waren die Vordersitze mit Schonbezügen im Leoparden-Look überzogen. Aus einer Sondernummer von L'Auto-Journal, die ich später bei meiner Rückfahrt kaufte, erfuhr ich, dass der Mitsubishi Pajero »einer der effizientesten Offroader in schwierigem Gelände« ist. Die Instyle-Ausführung umfasste Ledersitze, ein elektrisch verschließbares Dach, eine Rückfahrkamera und ein 860 Watt starkes Audiosystem von Rockford Acoustic mit zweiundzwanzig Lautsprechern.

  • Seine Kleidung passte in der Tat genau zu seiner Position: Finanzvorstand eines großen Unternehmens. Blonde, leicht gewellte Haare, azurblaue Augen, ansehnliches Gesicht: Er hätte ohne Weiteres in einem der Filme mitspielen können, die Hollywood von Zeit zu Zeit über so schwer verständliche und dabei scheinbar schrecklich wichtige Themen wie die Finanzwelt, die Subprimes und die Wall Street produziert. Ich hatte ihn seit zehn Jahren nicht mehr gesehen und seine Entwicklung war mir verborgen geblieben, aber mit dieser Verwandlung zu einer Art Vorstadtabenteurer hatte ich ganz bestimmt nicht gerechnet.

  • Ein ehemaliger Finanzvorstand von Unilever, der sich im Alter einen Geländewagen kauft und seine Instinkte als Jäger und Sammler wiederentdeckt:

  • Der Fußboden war mit verschiedenen Tierfellen bedeckt, in erster Linie waren es wohl Schaffelle; man hätte sich ein wenig wie in einem jener deutschen Pornofilme aus den Siebzigern fühlen können, die in einer Tiroler Jagdhütte spielen.

  • die einzige Frage, die ich mir wirklich stellte, war, ob auch Myriam mir schreiben würde, dass sie jemanden kennengelernt habe, ob sie diesen Ausdruck verwenden würde. Sie verwendete den Ausdruck.

  • Anfangs war alles wie immer, also eher angenehm: Sie hatten ein hübsches Apartment in der Nähe der Place Monge angemietet, wo sie nun Räucherstäbchen angezündet und sanfte Musik vom Typ Walgesang aufgelegt hatten, ich fickte beide unermüdlich und frei von Lust abwechselnd in die Muschi und in den Arsch.

  • Als ich ging, bestand ich darauf, jeder von beiden hundert Euro Trinkgeld zu geben; möglicherweise waren meine negativen Schlussfolgerungen vorschnell gewesen, hatten mir doch diese beiden Mädchen gezeigt, dass eine tiefgreifende Veränderung, wie sie spät im Leben meines Vaters stattgefunden hatte, jederzeit möglich war. Und wenn ich Rachida regelmäßig wiedersähe, würde am Ende vielleicht ein Gefühl der Liebe zwischen uns entstehen; zumindest gab es keine Anhaltspunkte dafür, dass dies vollkommen auszuschließen war.

  • All diese Reformen zielten darauf ab, »der Familie, jener Keimzelle unserer Gesellschaft, wieder den ihr gebührenden Platz, ihre Würde zurückzugeben«, hatten der neue Präsident der Republik und sein Premierminister in einer merkwürdigen gemeinsamen Ansprache erklärt, in der Ben Abbes einen beinahe mystischen Tonfall anschlug und François Bayrou mit einem glückseligen Lächeln im Gesicht in etwa die Rolle des Hanswursts aus einem alten deutschen Kasperletheater spielte,

  • Das Wunder meines ersten Besuchs bei Rachida und Luisa hatte sich nicht wiederholt, und mein Schwanz war wieder zu einem ebenso leistungsstarken wie gefühllosen Organ geworden.

  • »die Gesamtsumme der Funktionen, die dem Tod widerstehen«, wie Bichat es ausdrückt, langsam kleiner wurde.

  • Dennoch musste ich wohl anerkennen, dass diese Menschen mir unangenehm ähnelten, dass sie meinesgleichen waren, auch wenn es gerade diese Ähnlichkeit war, die mich dazu veranlasste, sie zu meiden.

  • Es hätte einer Frau bedurft, das war die klassische, die bewährte Lösung, denn eine Frau, die zwar unzweifelhaft menschlich ist, aber doch einen Typus darstellt, der sich ein klein wenig von der Menschheit unterscheidet,

  • Die Linke hatte sich schon immer durch die Fähigkeit ausgezeichnet, antisozialen Reformen zuzustimmen, die man vehement abgelehnt hätte, wären sie von rechts gekommen; doch für die islamische Partei traf das noch mehr zu, wie es schien.

  • dass er zu diesen doch eher seltenen Exemplaren gehörte, die sich grundsätzlich am Glück ihrer Mitmenschen erfreuen, dass er, kurz gesagt, das war, was man einen »guten Menschen« nennt.

  • »Sie sind mit dem TGV gekommen?«, erkundigte sich der Gästebruder; ich bejahte. »Mit dem TGV geht es wirklich schnell«, fuhr er fort, offensichtlich darum bemüht, einvernehmlich miteinander ins Gespräch zu kommen. Nachdem er meine Reisetasche genommen hatte,